1. Gleichwertigkeit in Vielfalt
Ziel der CIUTI und ihrer Mitglieder ist eine hohe Qualität der Ausbildung von Übersetzern und Übersetzern. Um dies auch bei unterschiedlichen nationalen Rahmenbedingungen sicherzustellen, wird von der CIUTI das Prinzip der Gleichwertigkeit in Vielfalt verfolgt. Es ist nicht die Absicht der CIUTI-Institute, die Ausbildung von Übersetzern und Dolmetschern zu vereinheitlichen. Die unterschiedlichen Bildungssysteme der Staaten, in denen die CIUTI-Institute beheimatet sind, sollen jedoch so genutzt werden, dass am Ende der akademischen Ausbildung das gleiche Qualitätsniveau gesichert ist.
Die Mitgliedschaft in der CIUTI soll für die Öffentlichkeit ein Hinweis sein, dass die Lehrinhalte und die Prüfungsanforderungen sowie die vermittelten Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten hinsichtlich ihrer Qualität gleichwertig sind. Dabei sind die nachfolgend aufgeführten Prinzipien zu beachten.
2. Übersetzen und Dolmetschen als Hochschul-Studiengänge
Entsprechend den Statuten der CIUTI und den 1995 veröffentlichten Guidelines for New Membership müssen die Curricula die Praxisanforderungen im Dolmetschen und Übersetzen mit den Erkenntnissen der Wissenschaft verbinden. Die Studiengänge Übersetzen und/oder Dolmetschen sind der Leitdisziplin Theoretische und Angewandte Translationswissenschaft zugeordnet. Sie haben das Grundlagenwissen und die Methoden der Translationswissenschaft zu vermitteln und sollen auf die vielfältige translatorische Berufstätigkeit vorbereiten.
Im Mittelpunkt des Studiums steht nicht eine bloße Sprachausbildung oder der Fremdsprachenerwerb. Die Kompetenz in der Grundsprache („Muttersprache“) und in mindestens einer Fremdsprache wird, wenigstens im Idealfall, vorausgesetzt. Zentraler Gegenstand der Ausbildung zum Übersetzer und/oder Dolmetscher ist die translatorische Ausbildung.
Das Studium, wie es nachstehend konzipiert ist und wie es die CIUTI-Institute ermöglichen, ist ein Studium sui generis und ist nach Möglichkeit klar vom Studium in Nachbardisziplinen wie Applied Languages, Langues Etrangères Appliquées, Area Studies oder ganz allgemein Cultural Studies abzugrenzen. Gleichwohl wird mit diesen eine interdisziplinäre Zusammenarbeit angestrebt.
Entsprechend dem Prinzip der forschungsgeleiteten Lehre soll die Ausbildung auf der eigenen erkenntnis- und anwendungsorientierten Forschung der Lehrenden, die über eine einschlägige akademische Qualifikation verfügen, gründen. Gleichzeitig wird Wert darauf gelegt, dass die Lehrenden auch berufspraktische Erfahrungen einbringen und ihre Lehre praxisrelevant gestalten.
2.1. Ziele des Studiums
Übersetzen bzw. Dolmetschen erfordert die Fähigkeit, auf der Grundlage einer schriftlichen bzw. mündlichen Informationsvorlage einen Text zu erstellen, der in einer anderssprachigen Kultur einen definierten Zweck erfüllt. Eine gute Translationsleistung ist also grundsätzlich zweckgerichtet: Die Qualität einer Übersetzung oder einer Dolmetschleistung misst sich an ihrer Zweckerfüllung.
2.1.1. Übersetzerstudium
Hier wird die Fähigkeit vermittelt, einen schriftlichen Text zu analysieren und in einer anderen Sprache für deren Kultur so zu formulieren, wie es der Textfunktion und den Erwartungshaltungen der Zielkultur entspricht. Dabei werden translatorische Grundfertigkeiten und Grundtechniken anhand praxisrelevanter Textsorten vermittelt.
2.1.2. Dolmetscherstudium
Hier sollen alle relevanten Dolmetschtechniken vermittelt werden. Sie setzen die Fähigkeit voraus, gesprochene Texte schnell zu verstehen und zu analysieren, ihren Inhalt nach Wichtigkeit zu ordnen und sie dann sicher und angemessen in der Zielsprache mündlich wiederzugeben.
Für das Konsekutivdolmetschen wird die Fähigkeit geschult, alle Informationen auch längerer, gesprochener Texte unter anderem mit Hilfe einer speziellen Notizentechnik verfügbar zu haben und anschließend in angemessener Form mit den richtigen Nuancen und Details wiederzugeben.
Für das Simultandolmetschen wird die Fähigkeit geschult, unter Zeitdruck eine Rede zu verstehen und nahezu gleichzeitig in der Zielsprache wiederzugeben. Dabei werden gezielt Strategien wie antizipierendes Verstehen, Erkennen und Strukturieren von Hauptaussagen und Kontrollieren des eigenen Vortrags eingeübt.
Unter den zu berücksichtigenden Dolmetschsettings eines CIUTI-Instituts gilt das Konferenzdolmetschen als unverzichtbar.
3. Translationskompetenz
Ziel des Studiums an einem CIUTI-Institut ist der Erwerb von Translationskompetenz. Diese ist ein Bündel verschiedener Teilkompetenzen, zu denen mindestens folgende Kompetenzen gehören:
3.1. Grundsprachliche Kompetenz
Für Übersetzer und Dolmetscher ist eine überdurchschnittliche Kompetenz in der Grundsprache („Muttersprache“) (A‑Sprache; A language; langue A) Voraussetzung. Angesichts ihrer grundlegenden Bedeutung für jede Translationsleistung muss sie gepflegt und durch entsprechende Übungen im Verlauf des Studiums so vervollkommnet werden, dass die Studierenden in der Lage sind, Texte zu analysieren und zusammenzufassen, mängelbehaftete Texte zu korrigieren und eigene Texte zu produzieren.
Angesichts der gestiegenen Anforderungen auf dem weltweiten Übersetzungs- und Dolmetschmarkt ist die grundsprachliche Kompetenz in der späteren Berufspraxis für jede Übersetzungs- und Dolmetschleistung entscheidend.
Gemäß Klassifikation des Europäischen Referenzrahmens ist in der A‑Sprache das Niveau C2 zu erreichen.
3.2. Fremdsprachliche Kompetenz
Die umfassende Beherrschung der Fremdsprache bzw. der Fremdsprachen (B- und C‑Sprachen; B and C languages; langue B et langue C) ist Voraussetzung, damit Translationsleistungen erbracht werden können. Entweder sind diese fremdsprachlichen Kompetenzen bei Aufnahme des Translationsstudiums schon vorhanden und werden dann vervollkommnet, oder sie müssen – was insbesondere bei C‑Sprachen oft der Fall ist – erst im Verlauf des Studiums erworben, ausgebaut oder vervollkommnet werden.
Diese Beherrschung der Fremdsprachen ist Voraussetzung für die fachsprachliche Kompetenz. Die meisten Übersetzer und Dolmetscher sind im Berufsleben mit Fachtexten befasst und spezialisieren sich in ihren Sprachkombinationen auf bestimmte Fachgebiete und deren Teilgebiete. Typische Beispiele sind technische Fachrichtungen (wie etwa Maschinenbau, Kraftfahrzeugtechnik oder Informationstechnologie), Wirtschaft, Landwirtschaft, Recht, Medizin und Pharmazie, was jeweils ein spezielles Sachwissen voraussetzt. Im Studium werden sie dazu angeleitet, die Fertigkeit einzuüben, sich kurzfristig in neue Sachgebiete einzuarbeiten, eigenverantwortlich zu recherchieren und sich die erforderlichen Informationsquellen zu erschließen.
Angesichts der Vielfalt der fachsprachlichen Texte können die Studierenden allerdings nur exemplarisch mit den Spezifika und Problemen der interlingualen Fachkommunikation und der jeweiligen Terminologie vertraut gemacht werden. Den Studierenden werden die unterschiedlichen Ansätze der Fachtextlinguistik dargelegt, und es wird ihnen vermittelt, wie Terminologiearbeit nach wissenschaftlichen Grundsätzen zu betreiben ist, einschließlich der terminologischen Recherche und der computergestützten Verwaltung von terminologischen Datenbanken.
3.3. Interkulturelle Kompetenz
Da Kommunikation stets eingebettet ist in gesellschaftliche und kulturelle Zusammenhänge, ist Hintergrundwissen über die Kulturräume von Ausgangs- und Zielsprache erforderlich. Beim Übersetzen und Dolmetschen geht es keineswegs nur darum, schriftliche oder mündliche Texte aus einer Sprache in eine andere durch bloßen Austausch von Wörtern und Beachtung von Grammatikregeln zu übertragen; sondern es findet ein komplexer Transfer aus der Ausgangskultur und ihrer Sprache in die Zielkultur und ihre Sprache statt, bei dem eine ganze Reihe textinterner und textexterner Faktoren relevant sein können. Im Studium soll demnach auch eine interkulturelle Kompetenz vermittelt werden, die den Translator in die Lage versetzt, das soziokulturelle Umfeld des Originaltextes und des zu erstellenden Translats zu erkennen und einzubeziehen, die eventuell bestehende historisch-kulturelle Distanz zwischen Textproduzenten und Textadressaten zu erkennen und entsprechend zu berücksichtigen.
Die CIUTI-Institute betonen das große Gewicht dieser interkulturellen Komponente, da nur auf dem Hintergrund eines fundierten Wissens über die unterschiedlichen Kulturen und ihren jeweiligen Translationskulturen eine zweckgerechteTranslation möglich ist.
3.4. Translatoren-Kompetenz
Die Translationswissenschaft hat sowohl den Prozess als auch das Produkt des translatorischen Ablaufs zum Untersuchungsgegenstand. Demzufolge gehört zur Qualifikation eines akademisch ausgebildeten Translators auch die Fähigkeit zur wissenschaftlich fundierten Reflexion der eigenen Tätigkeit. Dies erfordert Kenntnisse der theoretischen Grundlagen dieses Studienfaches und translationsorientierte Forschung und Entwicklung.
Im Studium werden die verschiedenen translationswissenschaftlichen Modelle und Methoden vermittelt, wobei der Wissensvermittlung um die Vorgänge beim Übersetzen und Dolmetschen große Bedeutung zukommt. Daher legen CIUTI-Institute größten Wert auf die Förderung der prozeduralen Kompetenz.
Angesichts der zur Verfügung stehenden Informations- und Kommunikationstechnologie ist die Vertrautheit mit den Übersetzungswerkzeugen (translation tools) unabdingbar. Der Zugriff auf die weltweiten Telekommunikationsnetze ermöglicht die aktive Beteiligung auf dem weltweiten Markt der Translationsdienstleistungen. Die Komponente Sprachdatenverarbeitung schult die Fähigkeit der Übersetzer und Dolmetscher, die moderne Kommunikations- und Informationstechnologie effizient zu nutzen und computergestützte Translationssysteme für ihr Übersetzungs-Projektmanagement einzusetzen.
Nicht zuletzt ist während des Studiums auch die sozial-kommunikative Kompetenz zu fördern, wozu außerfachliche Schlüsselkompetenzen gehören, die es ermöglichen, das erworbene fachliche Wissen in den sich stets wandelnden beruflichen Kontexten in die Praxis umzusetzen: insbesondere Team‑, Diskurs- und Konfliktlösungskompetenzen, und die Fähigkeit, in inter- und transdisziplinären Teams zusammenzuarbeiten.
3.5. Ergebnis
Die von den CIUTI-Instituten verlangte Verbindung von Professionalität und Wissenschaftlichkeit wird dann erreicht, wenn alle genannten Komponenten im Endergebnis als Translationskompetenz in nachhaltige Curricula der Studiengänge integriert sind, wobei den Instituten die Art und Weise dieser Integration und die Gewichtung der jeweiligen Komponenten freigestellt ist.
Angesichts des weiten Spektrums der Nachfrage nach Übersetzungs- und Dolmetschleistungen bleibt es den ausbildenden Hochschulinstituten aber überlassen, spezifische Master-Studiengänge je nach dem besonderen Profil ihrer Hochschulen einzurichten, mit spezifischen Inhalten zu versehen und entsprechend zu benennen, beispielsweise als Master-Studiengänge für Literarisches Übersetzen, Gerichtsdolmetschen, Behördendolmetschen, Internationales Management und Interkulturelle Kommunikation, Sprachen und Technik, usw. Es ist jedoch darauf aufmerksam zu machen, dass ein CIUTI-Mitgliedinstitut entsprechend den Statuten auf jeden Fall die oben genannten regulären Studiengänge Übersetzen und Konferenzdolmetschen im Programm haben muss.
4. Aufnahmeverfahren
Hochschulinstitute, die eine Mitgliedschaft in der CIUTI anstreben, können anhand des Antragsformulars überprüfen, ob sie die formalen Voraussetzungen erfüllen. Ist dies der Fall, so ist ein Antrag auf Mitgliedschaft an den Generalsekretär der CIUTI zu richten, der ihn dann zur detaillierten Prüfung an die Zulassungskommission der CIUTI weiterleitet. Die Entscheidung über eine Aufnahme in die CIUTI liegt bei der Generalversammlung.